Stimme und Sinne
Ich arbeite seit vielen Jahren mit Menschen und Stimmen. Ganz egal auf welchem technischen oder künstlerischen Niveau die Arbeit stattfindet, es begegnen mir stets ähnliche Bedürfnisse und Sehnsüchte. Bei Amateuren genau wie bei Profis, bei erfahrenen Sängern genau wie bei Anfängern. Es gibt Menschen, die „eigentlich schon ganz gut sind, aber noch besser werden möchten“ oder die endlich „belten lernen möchten“. Andere kriegen ihre „Atemtechnik nicht in den Griff“ und wieder andere kommen wegen ihres Vibratos in meinen Unterricht.
Doch immer wieder erlebe ich, dass die Menschen genau dann glücklich und erfüllt nach der Stunde durch die Tür gehen, wenn sie sich ganz und gar in dem, was sie tun, in ihrer Stimme und ihrem Gesang, wiedergefunden haben.
Manches Mal vergessen sie darüber gar, mit welchem Problem sie eigentlich gekommen waren.
Der eigenen Wahrnehmung trauen
Damit sich eine Stimme lebendig entwickeln kann und der:die Schüler:in die Möglichkeit hat, sein volles Potential zu entfalten, ist die Beschäftigung mit den Sinnen elementar. Die eigene Wahrnehmung – denn das ist es ja, was wir mit unseren Sinnesorganen tun: „für wahr annehmen“ – immer weiter zu verfeinern, ist vielleicht wichtigster Bestandteil meiner Arbeit und auch meines eigenen Stimmweges. Einerseits geht es immer wieder darum, die Eigenwahrnehmung zu schärfen und durch das Hinspüren in den Körper das eigene Instrument „Stimme“ immer besser kennen- und verstehen zu lernen. Andererseits sind die Sinne unsere Verbindung zwischen Innen und Außen. Und damit der Kanal jeglicher Kommunikation und Inspiration.
Hören und Lauschen
Das Hören spielt beim Singen nicht nur eine Rolle, wenn es um „richtige Töne“ oder musikalische Zusammenhänge geht. Vielmehr dient das Hören oder besser gesagt, das Lauschen, der direkten Klangentwicklung. Bestimmte Obertöne können sogar selbstorganisierend auf die Stimme und den Körper (rück-)wirken. Unsere Welt ist eine visuelle Welt, da dürfen wir das Lauschen ruhig immer wieder üben. Eine meiner Lieblingsübungen ist z.B. sich während des Gehens – egal ob auf der Straße, im Gesangsunterricht oder in der Chorprobe – mal eine Weile auf das Sehen und dann mal auf das Lauschen zu konzentrieren. Was macht das mit dem Gehen? Mit der Raumwahrnehmung? Wie töne oder singe ich, wenn ich mich aufs Sehen konzentriere, wie ist es im „Lauschmodus“?
Körper-SINN
Der „Körpersinn“, die Propriozeption, ist für mich wichtigster Bestandteil der ganzheitlichen Stimmarbeit. Bin ich wahrnehmend in meinem Körper anwesend, hat die Stimme die Chance sich selbstreguliert zu entwickeln. Ich lerne auf ganz anderer, tieferer Ebene und entwickle ein intensives und völlig individuelles und daher nachhaltiges Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Körper und Stimme. Auf ähnliche Weise, wie ein Kleinkind durch das Sprechen selbst nach und nach Sprachgefühl entwickelt, entsteht in mir ein inneres Gefühl von Beweglichkeit und Ausdrucksfähigkeit. Ich entwickle STIMMSINN.
Jetzt
In dem Moment, wo wir die Welt, unsere Mitmenschen und auch uns selber aktiv mit unseren Sinnen wahrnehmen, tauchen wir ein in den gegenwärtigen Augenblick. Unsere Sinne nehmen wahr, was jetzt da ist. Sonst nichts. Alles, was wir wissen, denken, glauben, fürchten oder hoffen verschwindet, weil wir uns ganz und gar mit dem Moment verbinden. Natürlich hilft es, Erlebtes und Erfahrenes mit bereits vorhandenen Fähigkeiten zu verknüpfen. Aber erleben und erfahren tun wir immer jetzt. Wenn wir nicht ganz und gar anwesend sind, verpassen wir die Hälfte. Lernen – egal ob stimmliches, musikalisches oder sonstiges – findet immer dann statt, wenn wir ganz wach sind. Mit all unseren Sinnen. Jetzt!
Sinnlich und genussvoll
Hand aufs Herz. Wie viel Prozent Deiner Zeit erlebst Du gefüllt mit Dingen, die Dir wirklich Genuss bereiten? Wieviel Raum ist da für Sinnlichkeit? Sinnlichkeit und Genuss sind zwei der Begriffe, die wir haben, um Intensität und Tiefe in unserm Leben zu beschreiben. Ein gutes Essen. Nähe mit einem anderen Menschen. Ein Spaziergang in der Natur. Eine Katze streicheln. In Farben, Gerüchen oder Klängen schwelgen. Vibrationen spüren. Sich selber beim Singen vom Scheitel bis zur Sohle als KlangKörper erleben. Freude pur!
Kontakt
Manchmal bezeichne ich die Stimme an sich auch als einen Sinn. Dieser STIMM-SINN dient unter anderem der Auskunft über mich selbst. Anhand der Arbeit mit meiner Stimme, lerne ich MICH kennen, kenne meine Stimmung, meinen körperlichen Zustand und kann mir, in dem ich meinem STIMMSINN Anregung gebe, Gutes tun.
Ich kann mich und andere inspirieren, indem ich töne und meine Stimme erhebe. Ich kann mich dabei als (un)stimmig oder (un)sinnig erleben.
Ich kann mich mit mir selbst und anderen Wesen über meinen STIMMSINN verbinden. Ganz genau wie übers Schauen und Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und über meine Körper- und Raumwahrnehmung kann ich in Kontakt treten und mich selbst in Beziehung zur Welt erleben.
Unterwegs sein
Das Wort „Sinn“ hat übrigens seinen Ursprung im alt- bzw. mittelhochdeutschen sin: Weg, Reise, Gang. Der Weg zur Stimme, der Weg mit der Stimme, den ich als Stimmpädagogin begleite. STIMMSINN hat keine Patentrezepte, löst keine Probleme durch Zauberei oder gut katalogisierte methodische Regeln. STIMMSINN ist die Entscheidung für einen lebendigen Weg mit offenem Ausgang. Ein Weg, der sich, meiner Meinung nach, lohnt, weil er die Menschen glücklich macht und in Kontakt mit ihrer Lebensfreude bringt.
Schön, dass du dich auf diesen Weg gemacht hast und hier bist.
Alles Liebe und hoffentlich bis bald,
Deine Anna
Am 09.09. erscheint „Stimme küsst Sinne“. Der neue STIMMSINN-Onlinekurs für mehr Singgenuss.
Bis zum 18.09. als absolut köstliches Einführungsangebot. 🍒 Halte Augen und Ohren auf!