Echt sein
Manchmal frage ich mich, ob wohl alle Menschen dieses tiefe innere Bedürfnis verspüren, ganz sie selbst zu sein. In mir gibt es schon so lang ich denken kann dieses Gefühl, dass ich ICH sein möchte. Ganz. Echt. Authentisch. Stimmig. Wie auch immer man das nennen mag.
Es gibt in mir kein größeres Glücksgefühl, als die Momente, in denen ich mich ganz und gar spüre. In denen ich ohne Zweifel weiß, ich bin am richtigen Platz. Ich bin genau so richtig, wie ich bin. Ich bin großartig, habe Wichtiges zu geben und bin angenommen, wie ich bin.
Dabei ist dieses Gefühl völlig unabhängig vom Außen. Ja, es ist toll, Applaus, Zuspruch und Lob zu bekommen, aber das Einzige, was wirklich zählt, ist: Wie fühlt es sich in mir an?
Kolleginnen-Austausch mal anders
Letztes Wochenende war ich mit meinen wundervollen natural voice – Kolleginnen im Schloss Craheim in Franken zu Gast. Einmal im Jahr treffen wir uns dort zum Austausch, zum gemeinsamen Atmen, Tönen, Singen und mit einander Sein.
In ungewohnt kleiner Runde war dieses Treffen für mich besonders. Normalerweise bringe ich mich reichlich und gerne ein. Ich bringe Spielzeuge mit und Ideen und berichte von allem, was mir im Unterrichten begegnet ist und was ich gerne teilen möchte.
Dieses Mal – ich war gerade seit 4 Tagen von meiner Reise aus New York zurück – hat es sich für mich ganz anders angefühlt. Mein Bedürfnis war vor allem Stille. In den abenteuerreichen Tagen in New York (ich war 4 Tage ganz allein dort und habe nur Dinge gemacht, auf die ich so richtig Lust hatte) ist so vieles in mir angestoßen worden und das wollte einfach nur sacken und verdaut werden.
Anna mal ganz still
Keine Lust auf Übungsaustausch, reden, experimentieren. Ich wollte einfach nur dasitzen und in mich lauschen. Still sein und nur meinen Senf zu irgendetwas geben, wenn es mir ein absolut inneres Bedürfnis war.
Das war neu und ein bisschen fremd, aber tief in mir so wohltuend und entlastend. Nein, ich bin nicht zuständig dafür, dass hier „Action passiert“. Nein, ich bin nicht zuständig dafür, dass alle zufrieden sind. Nein, ich habe keinen Plan und auch keine Lust einen zu machen.
Ich will einfach nur da sein und meine pure innere Wahrheit spüren. Mit dem sein, was ist. Punkt.
Das Wochenende war so wundervoll. Intensiv und berührend. Und mir sind einige Dinge klar geworden, die mich schon lange und immer wieder beschäftigen.
Was es braucht, um authentisch sein zu können
Wir wünschen uns (als Sänger*innen und im Leben) echt, präsent und authentisch zu sein, aber was bedeutet das eigentlich? Und was ist der Preis, den wir dafür zahlen bzw. was dürfen wir investieren, damit das überhaupt geht?
Die erste innere Schwelle ist für mich radikale Ehrlichkeit. Und zwar mir selbst gegenüber. Es ist so leicht, sich selber zu verarschen.
„Klar, bin ich toll. Klar, hab ich’s im Griff. Klar, geht’s mir gut.“
Oder auch: „Ich bin so ein armes Würstchen. Ich werde es nie lernen. Niemand kann mir helfen.“
Echt jetzt?!
Diese innere Schwelle ist vielleicht die schwerste und gleichzeitig die wichtigste.
Was ist jetzt gerade da? Wirklich. Jetzt.
Und dabei geht es weder darum, aktiv innerlich nach einem Problem zu popeln, das man lösen könnte, noch fleißig nach den „good Vibes“ zu suchen. Es ist viel einfacher. Schlichter, naheliegender.
Meine Wahrheit
Was ist jetzt gerade da? Da beginnt die Reise. Nicht davor oder dahinter, nicht drüber oder drunter. Was ist JETZT da und traue ich mich, das wirklich zu fühlen?
Langeweile? Verwirrung? Unruhe? Frieden?
Wie fühlt sich mein Körper an? Also wirklich.
Enge, Weite, Kribbeln, Abgeschnitten sein, Genuss, Lust, Anwesenheit.
Um wirklich wahrnehmen zu können, was ist, brauche ich meine Sinne. Darf ich wieder lernen, das „für wahr“ zu nehmen, was meine Sinne mir rückmelden. Wahrnehmen heißt, „meine Wahrheit“ annehmen und das ist manchmal einfach rattenschwer.
Sich selbst zu erlauben, eine eigene Wahrheit zu haben, die unabhängig ist von allem, was außen ist. Puh. Das ist mutig! Und gleichzeitig ist es für mich der einzige Weg, um wirklich das Eigene, Echte, Wahrhaftige zu finden.
In sich hineinwachsen
In der Arbeit mit meinen Kolleginnen begleiten wir uns gegenseitig beim Singen. Wir singen uns vor und helfen einander ins Spüren zu kommen und den Moment zu nutzen, um uns wieder ein Stückchen tiefer mit uns selbst zu verbinden. Das ist wunderbar und absolut transformierend.
Wie als ob du mutig deinen ganz eigenen Pfad gehst, aber jemand deine Hand hält, damit du dich traust, auch an den Stellen weiterzugehen, wo du allein vermutlich die einfachere Abkürzung nehmen würdest. Ich liebe diese Sing-Arbeits-Prozesse und genau diese Arbeitsweise findet immer wieder auch in meinen Kursen und insbesondere in der Jahresgruppe ihren Raum. Unter Zeugen über sich hinaus- und in sich hineinwachsen. Unendlich kraftvoll.
Jetzt gerade am letzten Wochenende war es für mich mal wieder besonders bewegend. Sowohl als Helferin und Begleiterin, als auch in meinem eigenen Singen. Und eine wichtige Sache ist mir dabei aufgefallen.
Lob und Verwirrung
Es ist wundervoll, nach dem Singen Rückmeldungen zu bekommen. Die Kolleginnen sind stets wertschätzend und positiv bestärkend in ihrem Feedback. Und gleichzeitig können auch Lob und Zuspruch das eigene Erleben wieder ins Wackeln bringen. Vor allem, wenn man selbst noch Zweifel hat.
„Das klang engelsgleich!“
„Großartig. Du solltest mehr solches Repertoire singen!“
„Deine Zweifel sind völlig unbegründet. Du bist toll!“
Was, wenn sich meine Zweifel aber real anfühlen. Irrt mein Gefühl?
Was, wenn ich gar nicht engelsgleich klingen möchte, weil ich eigentlich Sehnsucht nach Dreck und Power in meiner Stimme habe?
Was, wenn ich mich nicht in eine Genre-Schublade stecken möchte und mein Repertoire am liebsten ganz breit aufstellen möchte?
Stimmt dann etwas mit mir nicht? Ist meine innere Wahrheit dann falsch?
Alles, was zählt, ist in dir
Wertschätzendes Feedback ist wunderbar, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass jeder Kommentar – der ja immer durch die persönliche Brille desjenigen gefiltert ist, der ihn abgibt – auch das Potential in sich trägt, mich zu irritieren und mich von meiner Wahrheit zu entfernen.
Und das ist mir an diesem Kollegen-Wochenende nochmal so richtig klar geworden.
Wenn wir wirklich unser eigenes Ding finden wollen,
den eigenen Klang
den eigenen Stil
den eigenen inneren wunden Punkt, der den Menschen eine Gänsehaut verpasst,
dann müssen wir vor allem auf das Lauschen, was in uns passiert. Dann geht es darum, die Momente zu feiern, die sich in mir 100% echt angefühlt haben. Und das kann alles sein.
Meine Angst, meine Zweifel, meine unbändige Spiellust. Meine Leidenschaft. Der eine Ton, der sich in mir unvergleichlich ganz angefühlt hat. Der Augenblick, in dem ich erlaubt habe, dass die Stimme wackelt.
NUR DAS, nur diese Augenblicke bringen mich näher zu mir und lassen das Authentische in mir weiter wachsen. Keine Rückmeldung von außen kann mir spiegeln, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Keine.
Ich bin mein eigener Kompass
Und gleichzeitig ist es das größte Geschenk, vor Zeugen nach dieser inneren Wahrheit suchen zu dürfen.
„Deine Stimme klingt wirklich im ganzen Körper. Man hat das Gefühl, jeder Knochen schwingt.“
Ja, ich weiß!
„Das kam von so tief aus deiner Seele. Unglaublich berührend.“
Ja, ich weiß!
„Es ist so direkt und echt.“
Ja, ich weiß!
Dieses „Ja, ich weiß!“ ist das kostbarste Gefühl der Welt. Wunderbar, wenn es auch im Außen ankommt und zurückgespiegelt wird. Aber mein eigentlicher Kompass bin ich selbst.
Und da sind wir wieder bei der radikalen Ehrlichkeit und der inneren Wahrheit.
Die eigene Wahrheit wiederfinden
In unserer Welt üben wir die eigene Wahrheit viel zu selten und immer wieder begegnen mir Menschen, die sich selbst gar nicht spüren und nicht wissen, was ihre eigene Wahrheit ist. Sie sind angewiesen auf das „Urteil“, die Einschätzung von außen.
Singe ich den richtigen Ton? Klingt es schön? Was habe ich eigentlich für eine Stimmlage?
Ich möchte ihnen diese Rückmeldung nicht geben, denn ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit in sich trägt und diese auch wiederfinden kann. Alles andere ist nur ein Krückstock, ein Stützrad, eine Hilfe.
Die wirkliche, echte, wahre Kraft und vor allem das kostbare innere Gefühl von „Das bin ich!“ finden wir nur dann, wenn wir uns erlauben, unsere eigene Wahrheit wieder zu spüren.
Ja, „wieder“, denn als Kinder war es für uns selbstverständlich.
Üben mit Sinnen und Körper
Es braucht mehrere Schritte auf dem Weg und immer beginnt es mit der Wahrnehmung. Was für mich stimmt, kann ich mir nicht „erdenken“. Ich kann es nur spüren und darum braucht es die Arbeit mit den Sinnen.
Was ist jetzt gerade da? Im Innen und im Außen. Wo ist die Grenze zwischen innen und außen? Was gehört zu mir, wo bewirkt das Außen in mir eine Resonanz?
Diesen wichtigen Fragen spürend auf den Grund zu gehen, ist der Anfang.
Dabei spielt der Körper eine elementare Rolle. Er hat seine eigene Sprache und wenn wir lernen, mit unserem Körperwesen in Dialog zu treten, bekommen wir oft sehr klare Antworten auf Fragen, die wir mit dem Kopf doch immer wieder nur im Kreis drehen würden.
Ja oder nein?
Was ekelt mich?
Was bereitet mir Genuss, tiefe Freude und was entfacht meine Spiellust?
Der Körper ist ein wichtiger Verbündeter, wenn es darum geht herauszufinden, was für dich stimmig ist.
Er ist dein Kompass und zeigt dir an, wo deine Sehnsucht dich hinzieht, wovon du dir mehr im Leben wünschst und welche nächsten Schritte dich zum Ziel bringen.
Gefühle fühlen
Neben der Wahrnehmung und dem Kontakt zum Körper dürfen wir noch eine weitere wichtige Fähigkeit üben.
Unsere Gefühle auszuhalten. Denn wenn wir beginnen, auf unsere eigene Wahrheit zu hören, ist das nicht immer easy.
Da kommen Dinge ans Licht, die sich herausfordernd anfühlen. Widersprüche, Ängste, Zweifel, Schmerz… All diese Gefühle sind da um gefühlt zu werden.
Tun wir es nicht, verpassen wir die Chance, uns selbst ein Stückchen näher zu kommen. Ja, ich glaube sogar, dass wir uns mit jedem nicht gefühlten Gefühl von uns selbst entfernen und der Panzer um unseren innersten Kern immer dicker wird.
Trauen wir uns aber, den Schmerz, die Enttäuschung, die Sehnsucht zu spüren, in uns zu erleben und vielleicht sogar auszudrücken, schaffen wir innerlich Platz für uns selbst. Das zarte, kraftvolle, unverwechselbare Echte kann ans Licht kommen, wenn wir dem, was es beschützt, aufrichtig Raum geben. Einfach und schwierig zugleich.
Kraft-Training
Auch das braucht Training. Und Orte und Menschen, wo wir uns trauen können, dorthin zu gehen, wo es sich unsicher und verletzlich anfühlt. Gelegenheiten, bei denen wir unsere wahre Größe auspacken dürfen und niemand redet uns wieder klein.
Den Gefühlsmuskel trainieren, sage ich manchmal.
Wieder lernen unsere Gefühle zu fühlen – das sei in unserer Welt eine Superkraft, sagte neulich jemand. Ja. Dem stimme ich absolut zu. Eine Superkraft, an die wir uns dringend erinnern müssen, wenn wir möchten, dass die Welt sich verändert. (siehe Neujahrs-Blog 2024)
Weil wir nur so an unsere eigene Kraft kommen, die uns ermöglicht Dinge so zu gestalten, wie wir sie uns wünschen. Alles andere ist nur Kosmetik auf der Oberfläche.
Die wirkliche Kraft in jedem von uns kommt vom Ort unserer eigenen Wahrheit. Dort, wo es keine Zweifel gibt, bin ich in meiner Kraft. Dort wo ich echt bin, strahle ich. Dort, ich ICH bin, bin ich erfüllt und diene der Welt am allermeisten.
Deine Anna
P.S. Das STIMMSINN-Jahr 2025 wird exakt in diesem Sinne beginnen. Wahrnehmen lernen, die Sprache des Körpers tiefer verstehen, kraftvoll die Welt erschaffen, die du dir wünschst. Dazu wird es kurz vor Weihnachten ein spezielles Angebot geben. Sei gespannt!
Falls du nicht mehr warten möchtest, sondern schon jetzt für deine eigene Wahrheit losgehen willst, empfehle ich dir meinen neuesten Kurs „Stimme küsst Sinne 💋“. Wahrnehmen lernen pur.