Kern der Sache
Vor zwei Wochen hatte ich eine Ostheopathiesitzung, bei der ich auf meinen inneren Kern gestoßen bin. Kern in dem Sinne, wie das Kerngehäuse eines Apfels, meine innerste körperliche Faszienstruktur, die sich von den Fußsohlen, bis zum Schädel erstreckt.
Kein Verstehen ohne körperliches Erleben
Schon oft hatte ich versucht, diese Faszienkette (Thomas W. Myers nennt sie in seinem Buch „Anatomy Trains“ Deep Frontal Line (DFL)) zu verstehen und zu verinnerlichen, weil mir klar war, dass sie für das Singen unglaublich bedeutend ist. Sie ist die innere Struktur, die wesentlich für unsere innere Aufrichtung zuständig ist und sowohl das Zwerchfell und die Strukturen des Beckenbodens als auch die Rachen-, Zungen und äußere Kehlkopfmuskulatur umfasst.
Der Stein der Weisen für jede*n Sänger*in sozusagen 😉
Und trotzdem kam ich ihr nicht auf die Spur. Ich konnte mir hundertmal Bildchen anschauen und fand doch keine wirkliche Verbindung dazu. Und dann in der Osteopathiesitzung konnte ich plötzlich einen wesentlichen Teil dieser Faszienkette – nämlich die senkrecht auf der Innenseite des Kreuzbeins verlaufende Gewebsstruktur in meinem Becken – tief und klar spüren.
Wow. Aha-Erlebnis auf allen Ebenen. Verstand, Körper, inneres Wissen, Erleben.
Körperkern und Wesenskern
In den Tagen darauf habe ich mich tief in meine Fachbücher versenkt und konnte endlich endlich die Verbindungen sehen und gleichzeitig innerlich erleben.
Und ich habe mit der Stimme daran „entlangexperimentiert“. Hochgradig spannend!
Ich spreche oft davon, dass es mir darum geht, die Menschen, mit denen ich arbeite (wieder) mit ihrem inneren Kern zu verbinden, aber bisher meinte ich damit meistens eher den individuellen Wesenskern, der diesen Menschen eben einzigartig in seinem Sein, seinen Gefühlen und auch seiner Stimme macht.
Plötzlich eine passende physiologische, also ganz und gar greifbare Struktur dazu zu haben, mit der wir arbeiten können, öffnet einen völlig neuen Raum der Möglichkeiten.
Klar, die anderen Faszien, mit denen ich schon lange arbeite, ermöglichen diesen Kontakt auch schon, aber diese innerste Verbindung passiert auf einem noch viel intensiveren Level.
Kernschmelze im Unterricht
Am vergangenen Freitag hatte ich dann zwei Einzelstunden mit zwei Schülerinnen, die schon sehr lange bei mir sind. Sie kennen die allermeisten meiner Tipps und Tricks, haben die offene STIMMSINN – Arbeitsweise zutiefst verinnerlicht und sind deshalb immer offen und neugierig Dinge auszuprobieren, die wir noch nie zuvor gemacht haben.
Natürlich haben wir mit dieser Kernfaszie herumexperimentiert und es war grandios.
In sich selbst eine Verbindung von Kopf bis Fuß zu spüren und die Stimme daran anzulehnen – erstmal Abschnitt für Abschnitt, dann immer weitreichender – hat uns nicht nur jeden für sich zutiefst und sofort mit sich selbst verbunden, sondern auch die Verbindung zum anderen Individuum möglich gemacht. Kernschmelze sozusagen.
Innen und Außen
Was für ein Spaß, was für eine Freude, wenn die Stimme sich wirklich nach innen hin öffnet. „Innen ist außen und außen ist innen“, sagte eine der beiden Schülerinnen und ich konnte es am eigenen Leib mitspüren, was sie meinte.
Und es ist so hilfreich, die Verbindung nach „Innen“ an einer ganz konkreten Struktur festmachen zu können. Auch wenn diese Verbindung zu Beginn noch schwammig ist, sie wird durch die gelenkte körperliche Anwesenheit und das gleichzeitige Tönen und Singen immer greifbarer.
Mit unserer Aufmerksamkeit können wir ganz gezielt mit dieser inneren Kernstruktur in Verbindung bleiben und uns immer tieferem Genuss hingeben.
Wir können uns immer mehr in diese Verbindung „hineinfreuen“, genau wie wir uns immer tiefer und inniger mit einem anderen Menschen verbinden können.
In dieser Verbindung zu singen ist eine pure Freude.
Verbindung ermöglicht Öffnung
Wir erleben ein sowohl körperliches, als auch darüber hinausgehendes, Gefühl von innerer Stabilität und Souveränität bei gleichzeitig großer Flexibilität. Ein tolles Körpergefühl, das uns ein ganz anderes „Standing“ auch im Kontakt mit der Welt und anderen Menschen und Lebewesen gibt.
Der Kontakt zwischen Stimme und „Körperkern“ ermöglicht – und das ging mir und den Schüler*innen gleichermaßen so – eine mutige innere Öffnung, die unsern Wesenskern zum Klingen bringt.
Schaffen wir es, diese Verbindung nicht nur im Singen, sondern auch im Moment des Atmens zu halten, entsteht zusätzlich noch eine sich selbst verstärkende Dynamik, die das Singen mit jeder Phrase müheloser macht und den Kontakt nach innen noch intensiviert.
Das ist wie Fliegen! Nur noch 1000mal besser.
Bewerten und Wahrnehmen
Aber Achtung! Wenn sich plötzlich der Kopf einschaltet und der Verstand sich zu freuen beginnt, „wie gut es klingt“ oder „wie mühelos es funktioniert“, steigen wir aus aus dem Erleben und fallen in den Bewertungsmodus (ja, der greift auch, wenn wir etwas positiv bewerten), der wiederum den Modus des „Machens“ direkt nach sich zieht.
Aber das Gute ist, wir können jederzeit zurück in den Wahrnehmungsmodus wechseln, weil es ja immer noch um eine konkret-spürbare körperliche Struktur geht.
Ich kann es kaum erwarten, am kommenden Wochenende mit den 8 Damen meiner aktuellen Jahresgruppe auf innere Forschungsreise zu gehen. „Öffne Dein Herz und singe!“ lautet das Thema unseres dritten Präsenzwochenendes und der Zeitpunkt meiner Kernentdeckung könnte nicht passender sein.
Halleluja!