Anna wird syng:TRAINER

Im Februar und März diesen Jahres habe ich eine umfangreiche Fortbildung bei Prof. Kenneth Posey (UDK Berlin) absolviert und diese mit dem Zertifikat als syng:TRAINER abgeschlossen. Von meinen Erfahrungen mit der syng:TRAINING Methode während der Weiterbildung und den Erlebnissen mit Schülern in den darauf folgenden Wochen möchte ich in diesem Blog-Artikel berichten.

Warum syng:TRAINING?

Vor etwa zehn Jahren lernte ich Kenneth Posey auf einer Profimasterclass-Woche in Berlin kennen. Da ich noch andere Verpflichtungen in der Uni hatte, stieß ich erst am zweiten Tag des Workshops hinzu und hatte damit die Aufteilung der Solo- und Ensemblestücke für die geplante Abschlussshow verpasst bzw. hatte nur einen kleinen Part zugewiesen bekommen. Als kleine „Entschädigung“ bot Prof. Posey mir an, in seinem Unterricht zu hospitieren und so seine Arbeit mit den Kollegen zu erleben. Der von Ken angestrebte Klang der Stimmen hatte wenig mit dem gängigen „leicht quäkigen“ Musicalsound zu tun, mit dem ich nie so richtig warm geworden war. Die Menschen klangen wie Menschen. Das gefiel mir und so bin ich nach langem hin und her und verschiedenen Begegnungen mit Kenneth schließlich in seinem Programm syng:TRAINING gelandet.

Was ist syng:TRAINING?

Das von Kenneth Posey über Jahre entwickelte syng:TRAINING ist ein funktionales Stimmbildungskonzept. Sehr spezifische Klänge dienen der Aktivierung bestimmter Muskelaktivitäten und Resonanzräume und fördern gleichzeitig eine Genauigkeit bei der Atemführung: jeder Klang hat eine ganz eigene Zusammensetzung von Muskeln, Raum und Atem. Ziel ist die verbesserte Koordination und Kräftigung der Stimmmuskulatur, die nicht ausschließlich, aber doch schwerpunktmäßig auf die stimmlichen Anforderungen im Musical- und Popgesang ausgerichtet ist. Hier geht es – anders als im klassischen Gesang – nicht darum einen perfekt ausbalancierten Klang, der sich durch alle Lagen hindurch einheitlich und verbunden zeigt, zu finden, sondern eine breite, flexible Palette an sehr unterschiedlich gearteten, gesund erzeugten Klängen und Stimmnutzungen zur Verfügung zu haben und sich durch diese auszudrücken (vgl. Singen ist Singen).

syng:TRAINING konkret

Es gibt im syng:TRAINING fünf sogenannten „Basisvokale“. Diese werden nur in sehr eingegrenzten Bereichen des Stimmumfangs geübt. So wird die ideale Ansprache der jeweiligen Muskulatur, des zugehörigen Resonanzraumes und der passenden Atemführung gewährleistet. Nach dem Erlernen und Verfeinern der Basisvokale (Isolation) werden diese gegenübergestellt und in verschiedenen Übungsfolgen abgewechselt. So entsteht eine Alternation zwischen verschiedenen Stimmmuskelnutzungen, Resonanzräumen und Atemführungen. Das Wechseltraining wird dann erweitert, bis zwischen drei oder mehr Basisklängen auf einem immer größer werdenden Stimmumfang (auch registerübergreifend) im Wechsel trainiert wird (Integration). Im Anschluss an dieses allgemeine Training folgt ein nutzungsspezifisches Stimmtraining mit zusätzlichen Übungen, welche die jeweilige Stimmnutzung (z.B. Belting, Mix usw.) aufbauen und unterstützen.

Anna sucht das Basis [i:]

Der Dreh- und Angelpunkt des syng:TRAININGs sind die Basisklänge. Dabei handelt es sich nicht um Vokale, die auf genau diese Weise auch im „richtigen Singen“ verwendet werden, sondern, wie oben beschrieben, um Übungsklänge. Das Erlernen dieser Basisklänge hat mich sehr herausgefordert. Vor allem das Basis [i:] konnte ich zu Beginn der Fortbildung weder selber herstellen noch konnte ich genau hören, wie es klingen soll. Das hat mich ziemlich verwirrt und gestresst. Die Sichtweise des syng:TRAINING ist so anders, als mein eigenes sängerisches Weltbild, dass es mir zunächst sehr schwer gefallen ist, an irgendetwas anzuknüpfen, was mir bekannt war.

Wohin soll die Reise gehen?

Irgendwann hat es dann doch geklappt mit dem Basis

[i:]

und ich hatte das große Glück, dass meine Schüler experimentierfreudig genug waren, um mit mir auf die Reise zu gehen, auch wenn ich selber noch nicht sicher war, wohin es geht (vgl. Singenlernen ist nicht linear). Meine Sichtweise bisher war vor allem ganzkörperlich geprägt, mit einer soliden funktionalen Basis. Da kenne ich mich aus, da kann ich meine Schüler mitnehmen und anleiten. Nun kamen neue Begriffe, Ziele und Aufgaben hinzu, die mir nicht in jeder Hinsicht mit meinen sonstigen Aktivitäten kompatibel erschienen und die mir teilweise noch bis zum heutigen Tag leicht unklar sind.

Fortbildung ist immer ein Wagnis

Als gestandener Gesangspädagoge ist es immer gefährlich etwas Neues zu lernen (vgl. Über den Tellerrand). Denn jedes Mal muss ich auch mein bisheriges Wirken hinterfragen und werde auf Dinge gestoßen, die ich (noch) nicht beherrsche. So ging es mir in diesem Falle auch. Die funktionale Denkweise ist mir nicht fremd, aber z.B. die bewusste Registerunterscheidung habe ich eigentlich immer vermieden, um nicht dort eine Trennung zu schaffen, wo diese vielleicht gar nicht notwendig ist (vgl. Wie sag ich’s meinem Schüler?). Im syng:TRAINING ist aber eben diese elementar, denn es geht um das ständige Hin- und Herwechseln zwischen Resonanzräumen, Registern, Atemführungen – vorne, hinten, unten, oben, brustig, kopfig, fließender Atem, zurückgehaltener Atem – um stimmliche und körperliche Flexibilität zu fördern. Die Trennung beim Üben ist also – das leuchtet mir ein und ich habe es ja auch selber deutlich erlebt – wichtig, um die Wahrnehmung für gesunde Stimmnutzungen zu schärfen. (vgl. Und wo singst Du so?)

Dennoch grüble und forsche ich immer noch täglich, wo es unabdingbar und sinnvoll ist, wo es Dinge erleichtert und wo ich vielleicht doch für mich persönlich einen anderen Weg finden muss bzw. kann.

Den eigenen Horizont erweitern

Neben der Verwirrung durch Neues und Unbekanntes, konnte ich mir aber in mancher Hinsicht mehr Überblick verschaffen. Wenn es um ganz bestimmte Klänge geht, ist es sehr hilfreich, deren genaue Muskelaktivitäten, Raumnutzungen und den Atembedarf zu kennen. Grundsätze wie: Je „fetter ein Klang, desto zurückgehaltener muss der Atem sein“ oder „Beltklänge gehören nur in die Lage oberhalb der Sprechlage, ansonsten ist ein Brustmix ökonomischer“ helfen mir beim Unterrichten sehr. So kann ich einigen Schülern auf ganz neue Weise einen Zugang zu bestimmten Klängen verschaffen. Jeder Mensch lernt anders und – das ist mir durch die syng:TRAINING Fortbildung einmal mehr klar geworden – manche Dinge, die mir helfen, helfen jemand anderem nicht und umgekehrt. Da ist es gut einmal in eine andere Haut zu schlüpfen, andere Worte, einen anderen Fokus zu probieren und so seinen Horizont zu erweitern. Manche Klänge und Stimmphänomene, die sich für mich vor allem aus dem Moment heraus und durch intensive Körper- oder Emotionsarbeit ergeben, kann ich nun konkreter beschreiben und einem Schüler somit auf eine weitere Weise „servieren“.

Anknüpfungspunkte

Insgesamt habe ich mich bemüht, immer dort anzuknüpfen, wo ich auf Vertrautes zurückgreifen kann (vgl. In Ähnlichkeiten denken). Nur so sehe ich eine Chance, das syng:TRAINING Programm wirklich zu meinem eigenen zu machen und ich bin davon überzeugt, dass ich es nur dann wirklich gut unterrichten und weitergeben kann. Dabei haben sich einige Punkte als gut geeignet herausgestellt. Die Arbeit mit den Gesangsformanten (GF) (vgl. Das magische Knistern) spielt auch im syng:TRAINING eine zentrale Rolle. Die optimalen Klangeigenschaften eines Basisklangs werden u.a. durch Formanttuning erreicht. Wird das im Klang hörbar, was ich in meinem Unterricht meist schlicht „das Knistern“ nenne (Obertöne im Bereich von rund 3000 HZ), wissen wir, dass die Basisklänge an der richtigen „Stelle sitzen“.

Der Effekt der Selbstorganisation durch die GF wurde zwar nicht direkt angesprochen, aber ich bin mir sicher, dass die Arbeit mit den Basisklängen auch aus diesem Grund so wirkungsvoll ist.

Faszien syngen?

Was mir außerdem am syng:TRAINING gut gefällt, ist die Tatsache, dass der Stimme durch das Training alle Bausteine angeboten werden, die dafür sorgen, dass man sich hinterher beim Singen um nichts mehr sorgen muss. Die Stimme organisiert und koordiniert sich von selbst. Die Klänge und vor allem das abwechselnde Üben der Klänge sind sehr dynamisch und erinnern mich stark an meine Erfahrungen mit verschiedenen Faszienübungen (vgl. Klangkörper). Nicht nur auf stimmlicher Ebene, sondern auch in Bezug auf die Muskulatur des Ansatzrohres und auch des Atems, geht es ums Dehnen, Kneten, Zugreifen, Spannen und Lösen. Da kam mir manches Mal der Gedanke, dass die syng:TRAINING Übungen auch deshalb so gut greifen, weil es sich um Faszientraining für viele verschiedene an der Stimmgebung beteiligte Elemente handelt. Diesen Zusammenhängen werde ich in jedem Fall weiter nach-forschen und nach-spüren.

Der Ton macht die Musik

Eine leichte Gefahr sehe ich darin, dass besonders ehrgeizige Schüler möglicherweise „zu aktiv“ üben. Diesem Fehler bin ich in den ersten Wochen meiner Fortbildung definitiv aufgesessen. Ich wollte die Klänge unbedingt richtig machen und habe manches Mal manipulierend eingegriffen, wo weniger mehr gewesen wäre (vgl. Kontakt). Ein Grund dafür war möglicherweise, dass die Sprache im Kurs für meinen Geschmack teilweise etwas „zu konkret“ war. (vgl. Wie sag ich’s meinem Schüler?). Solange ich noch kein klares Körpergefühl für manche Dinge hatte und mich vor allem an den verbalen Anweisungen (jede Methode hat ja ihre ganz eigene Sprache, ihre Vokabeln und ihre sprachliche Grundstimmung, in die man sich erstmal einfühlen muss) entlanggehangelt habe, hat das bei mir beim selbstständigen Üben manches Mal zu Überspannungen geführt. In der eins zu eins Arbeit mit Kenneth Posey war das jedoch keineswegs der Fall. In den Momenten, in denen ich unterrichtet wurde, hat sich stets alles leicht und total richtig angefühlt. Durch seine ein- und mitfühlende Anleitung konnte ich dann manche Worte und Anweisungen in Körpergefühl oder andere Wahrnehmungen übersetzen und somit tiefer und nachhaltiger verstehen.

Was fehlt?

Was mir persönlich im syng:TRAINING fehlt, ist der ganzkörperliche Aspekt. Die körperliche Unterstützung des Singens wird zwar durch das spezielle Design der Klänge und der Übungen immer wieder geübt, meine Auffassung von körperlichem Singen geht jedoch weit darüber hinaus. Für mich ist der gesamte Körper vom Scheitel bis zur Fußsohle mit all seinen Muskeln, Knochen, Faszien, Organen, Nerven, Zellen, Zwischenräumen und vor allem auch durch die Beziehung all dieser Teile untereinander, am Vorgang des Singens beteiligt (vgl. Klangkörper). Meine, im Wesentlichen durch die natural voice – Arbeit gewonnenen, Erfahrungen bzgl. des Atems reichen ebenfalls über die konkrete „Atemsteuerung“ hinaus. Atem ist in meiner Welt nicht nur die fürs Singen unerlässliche Antriebskraft, ohne die keine Tongebung möglich wäre, sondern berührt viel tiefer alle unsere menschlichen Ebenen – körperlich, emotional, energetisch, spirituell.(vgl. Sehnsucht nach der sängerischen Freiheit)

Als ganzheitlich-körperlich arbeitende Lehrerin kann und werde ich in jedem Falle Wege suchen und finden das syng:TRAINING Konzept durch diese Aspekte zu ergänzen und so noch umfassender machen.

Für wen eignet sich syng:TRAINING?

Die syng:TRAINING Übungen eignen sich im Grunde für jeden, der Lust hat, sich intensiv mit der Funktionsweise seiner Stimme auseinander zu setzen. Wer Lust an einem klaren Übungsprogramm mit überschaubaren Grundsätzen hat, ist hier genau richtig. Wie bei einem „Balletttraining“ wird der Stimmapparat bis ins Detail auf die anstehenden Aufgaben (Das Tanzen! :-)) vorbereitet. Der klare Ablauf sorgt für Sicherheit und wenn die Basisklänge einmal klar sind, kann in relativ kurzer Zeit sehr effektiv geübt werden.(vgl. Übungen machen den Meister)

Besonders geeignet ist das syng:TRAINING für Menschen, die sich speziell im Bereich Musical und Pop (vor allem Belting, aber auch Mix) stimmlich weiterentwickeln möchten. Der durch das Grundlagentraining entstehende Stimmklang ist jedoch erstmal nicht genregebunden und ich persönlich konnte neben dem Belten vor allem in der Höhe sehr profitieren.

STIMMSINN und syng:TRAINING

Ganz sicher wird meine STIMMSINN-Arbeit durch einige Aspekte des syng:TRAINING bereichert. Besonders die konkrete Arbeit mit den Resonanzräumen im Kopf war für mein eigenes Singen, aber auch in der bisherigen Arbeit mit meinen Schülern und Studenten in den vergangenen zwei Monaten sehr erkenntnisreich. Vor allem das Ausloten der hinteren Räume macht mir viel Freude und erweitert meine eigene Klangpalette und die meiner Schüler enorm. Auch im Chor habe ich durch das erlebende Herumprobieren mit diesen Räumen der ein oder anderen Stimme mehr Spielraum ermöglichen können. Insgesamt kann ich sagen, dass sich meine Hörwahrnehmung in Bezug auf die Stimm- und Resonanznutzung verfeinert hat. Mein Bestreben, Stimmbildung vor allem erlebend und nicht manipulierend anzubieten, wird durch das syng:TRAINING herausgefordert, aber ich bin sehr positiv, dass auch das möglich ist. Das nötige „richtig und falsch“ in Bezug auf die Basisklänge kann ich gut akzeptieren, weil es sich eben auf bestimmte Übungsklänge bezieht. Das Singen bleibt nach wie vor eine höchst individuelle Angelegenheit.

Wie sich alles weiterentwickelt, wird die Zeit zeigen. Ich bin und bleibe neugierig, wie und wohin sich STIMMSINN und syng:TRAINING in der Zukunft weiter entwickeln.

Ich wünsche viel Wissens- und Singdrang – mit oder ohne syng:TRAINING 🙂

Anna Stijohann