Verkörperung
Ich spreche viel von „Verkörperung“, aber was ist das eigentlich genau? Das englische Wort „Embodiment“ klingt definitiv sexier, als die deutsche Übersetzung. Embodiment klingt genussvoll, saftig, heimelig und trendy. Verkörperung kling sperrig, altbacken und eher abturnend.
Aber gerade deswegen finde ich es so spannend, sich diesen spröden deutschen Begriff mal ein wenig genauer anzuschauen. Für mich bedeutet Verkörperung, „in den Körper kriegen, verinnerlichen“. Wir bringen Dinge nicht nur durch Worte, sondern durch unser ganzes (körperliches) Sein zum Ausdruck.
Ich singe nicht einfach. Ich bin mein Gesang. Von Kopf bis Fuß.
Ich tanze nicht nur eine Choreographie, sondern ich fühle und erlebe jeden Schritt, jeden Schwung, jede Bewegung.
Ich spreche nicht nur davon, was mir wichtig ist, sondern ich lebe es in jedem Augenblick.
Der Körper ist unendlich schlau
Menschen sind keine reinen Geistwesen. Wir sind mit diesem wunderbaren Körper auf die Welt gekommen und nutzen ihn doch so wenig. Dabei ist der Körper verdammt schlau. Unsere Körperintelligenz ist so viel schneller und so viel präziser, als unser Kopf. Da wäre es – gerade beim Singen – eine echte Verschwendung, sich nicht wirklich tief mit ihm zu beschäftigen.
Aber lass mich zunächst damit beginnen, die verschiedenen Möglichkeiten von „Wissen“ zu differenzieren.
Wissen im Kopf
Zuerst ist da mal das Wissen im Kopf. Wir kennen uns mit einer Sache aus, wissen um die Zusammenhänge und Details und können Dinge einordnen und in Beziehung setzen. Solches Wissen ist nützlich, hilfreich und gleicht einer inneren Bibliothek.
Der Haken: Genau wie eine Bibliothek hilft uns dieses Wissen in der Praxis nicht unmittelbar weiter. Wir wissen viel, aber manchmal stehen wir vor einem Problem, wie der Ochs vor Berge und kriegen unser Wissen nicht übertragen ins Leben. Schade.
Wir brauchen anwendungsbezogenes Wissen.
Problemlöse-Wissen
Juchhu! Solches Wissen gleicht einem Werkzeugkasten. Wir erkennen ein Problem und haben sogleich ein Tool für die Lösung parat. Wir geraten in eine Situation und wissen sofort „ich könnte / sollte / müsste“ dieses oder jenes tun. Durch permanentes Verbessern, Optimieren und Evaluieren werden wir immer raffinierter und geschickter im Problemlösen.
Allerdings kommen wir mit dieser Art von Wissen an unsere Grenzen, wenn es um lebendige Dinge geht. Lebendige Dinge, Prozesse, Wesen unterliegen einer Eigendynamik und sind oft so komplex, dass wir mit problemlösendem Wissen schlicht nicht weiterkommen.
Mein allerliebstes Beispiel ist das Fahrradfahren. Es hilft uns überhaupt nicht, wenn wir wissen, wie ein Fahrrad funktioniert und auch nur bedingt, dass wir in einer Kurve leicht unser Tempo erhöhen müssen, damit wir nicht umfallen. Wir brauchen eine dritte Form von Wissen. Wir brauchen verkörpertes Wissen.
Körperwissen
Für die meisten von uns ist die Verkörperung von Fahrradfahren so selbstverständlich, dass wir uns gar nicht mehr erinnern, wie es war, als wir es noch nicht konnten. Aber denk doch mal an Skifahren.
Um zu bremsen muss ich den Schneeflug machen (du bemerkst vielleicht an dieser Stelle, dass ich keine gute Skifahrerin bin 😜) und in den Kurven die Kanten der Ski geschickt einsetzen. Kann ich deswegen Skifahren? Nein. Werde ich beim Üben genau so vorgehen? Ja. Aber erst in dem Moment, wo mein Körper begreift, wie es wirklich geht mit den Kurven, stellt sich in mir ein Gefühl von „ich kann Skifahren“ ein.
Verkörperung ist eine Form von „Wissen“, die nicht allein über den Kopf funktioniert. Es ist erlebtes Wissen. Erfahrungswissen. Wissen, das du nicht von jemand anderem übernommen, sondern selbst in dir gefunden hast. Verkörpertes Wissen erlaubt dir, Dinge zu tun, ohne nachdenken zu müssen. Etwas zu tun und dabei gleichzeitig erlebend anwesend zu sein.
Verkörpertes Wissen ist nur deins. Es lebt in dir und du lebst es.
Mehr Beispiele
Kochen. Nur weil du ein Rezept kennst und es Schritt für Schritt befolgen kannst, bist du noch lange kein guter Koch. Dafür braucht es vielmehr ein gutes Gefühl für Zutaten, Geschmäcker, Garzeiten und Konsistenzen.
Ein Lied schreiben. Nur weil dir jemand gesagt hat, wie eine gute Songform aufgebaut ist, kannst du es noch lange nicht tun. Selbst wenn dir jemand dazu eine eingängige Akkordfolge zeigt, ist noch lange nicht gesagt, dass dieser Song ein Hit wird. Dafür braucht es ein Gespür fürs Ganze, für Dynamik und Gefühl und viele, viele gescheiterte Versuche, bis du spüren kannst, wie es in dir einrastet.
Mama von einem schwierigen Kind sein. Kein Ratgeberbuch der Welt kann dir helfen, die Wutausbrüche deines Kindes in den Griff zu bekommen. Ja, du kannst vieles ausprobieren, aber im Eifer des Gefechtes wird sich erst dann in dir eine Sicherheit einstellen, wenn du spürst, was dein Kind wirklich braucht und du gleichzeitig bei dir bleiben kannst.
Für Dich sorgen. Badewanne bei Kerzenschein, Dankbarkeitstagebuch, Yoga… Du weißt das alles. Wann wirst du anfangen, liebevoll zu dir selbst zu sein und dich gut um dich zu kümmern? Dann, wenn du beginnst, deine Bedürfnisse wirklich ernst zu nehmen, die Sprache deines Körpers zu verstehen und nicht nur den Willen, sondern auch die innere Gewissheit besitzt, dir selbst oberste Priorität in deinem Leben einzuräumen.
Du selbst sein. Niemand kann dir sagen, wie es geht, du selbst zu sein. Du kannst dir 1000 Ratschläge einholen, aber kein Werkzeugkoffer der Welt, wird dich dir selbst so nah bringen, wie du es dir wünschst. Dich selbst wirklich spüren kannst du erst, wenn dir auf allen Ebenen (geistig, emotional und körperlich (!)) nah kommst. Dann erlebst du, wie es sich anfühlt, in dir zuhause zu sein. Dann triffst du mutig deine eigenen Entscheidungen. Dann folgst du deiner Freude und Begeisterung. Dann hast du das Gefühl: Das bin ich!
Verkörpertes Singen
Auch beim Singen gibt unendlich viele Aspekte, die wir verkörpern können bzw. (aus meiner Perspektive) verkörpern müssen. Weil uns sonst keiner abnimmt, was wir tun und wir selber frustriert und unzufrieden sind. Die körperlichen Abläufe, aber auch unsere innere Haltung, Emotionen, Musik in all ihren verschiedenen Parametern.
Singen ist wie Fahrradfahren. Wirklich Spaß macht es dann, wenn du den Fahrtwind genießen und dich an der wunderbaren Landschaft erfreuen kannst. Das kannst du nicht, wenn du noch darüber nachdenken musst, was dein Gaumensegel bei diesem einen hohen Ton tut, ob du genug Twang auf dem Ton hast, ob der Vokal richtig geformt ist und ob du das mit der Stütze richtig machst.
Genussvoll wird es dann, wenn du ganz in die Musik eintauchen kannst, dich mit anderen verbinden kannst und bewusst genießt, wie sich das Singgefühl in dir anfühlt. Ja! Dann kannst du dich spüren. Dann kannst du die Kontrolle ab- und dich dem Flow hingeben.
Zwei Wege zur Verkörperung
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, dein „Singwissen“ zu verkörpern. Eine, die eventuell funktioniert, wenn du nur fleißig genug übst und eine bombensichere, die schon beim Lernen, die körperlich-spürende Anwesenheit gleich mitübt. 😎
Einerseits kannst du versuchen, für jedes Problem eine Lösung in deinem Werkzeugkoffer zu haben und diese so oft und immer wieder anwenden, bis sich der Lösungsweg automatisiert hat, sobald das Problem wieder auftritt. Das ist die Variante, die die meisten Gesangslehrerinnen und Chorleiter praktizieren. Kann klappen, kann aber auch nach hinten losgehen.
Nämlich genau dann, wenn die Lösung, die du dir für deinen Werkzeugkoffer erarbeitet hast, nur bedingt zu dir passt. Wenn diese Lösung nicht deine, sondern die deines Gesangslehrers oder deiner Chorleiterin ist. Im besten Fall (!) wehrt sich dein Körper gegen das Lernen und du fängst quasi immer wieder bei null an, wenn du vor dem Problem stehst. Im schlechtesten Fall lässt sich dein Körper darauf ein und lernt eine Lösung, die nicht zu ihm passt und wirft als Dankeschön für jedes gelöste Problem 10 weitere auf. So bleibst du im Problemlöse-Gebastel hängen und stehst trotz prall gefülltem Werkzeugkoffer immer wieder mit einem frustrierten Gefühl vor deiner Stimme und fragst dich, warum Singen eigentlich so schwierig ist. Wie schade!
Verkörperung à la STIMMSINN
Die zweite Möglichkeit verkörpertes „Singwissen“ zu erwerben, funktioniert ganz anders. Du füllst deinen Werkzeugkoffer nicht mit problemspezifischen Lösungen, sondern lernst – genau wie beim Skifahren – komplexe Bewegungsabläufe (Singen ist ja eine körperliche Angelegenheit, nur eben winzig klein) als Ganzes. Du tust das, indem du deine Stimme und dein Singen wirklich von allen Seiten erforschst.
So wie ein Baby seinen Körper kennenlernt und schließlich mit etwa einem Jahr fähig ist, auf den eigenen Beinen zu laufen. Diesen Bewegungsablauf wird es nie mehr in seinem Leben vergessen. Niemand hat es ihm „beigebracht“. Es wurde lediglich immer wieder ermutigt weiterzumachen, hat sich an Vorbildern orientiert und hat schlussendlich selbst herausgefunden, wie es geht. Und durchs Weiterforschen und Ausprobieren immer neuer Varianten des gleichen Bewegungsablaufs, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann auch lernen, wie es rückwärtsgehen, rennen und hüpfen kann.
Genau so funktioniert Singen lernen bei STIMMSINN.
Es ist alles schon da
Ja, desöfteren wirst du auf deiner STIMMSINN-Reise vor Problemen stehen und fluchen und zetern und dir einen Werkzeugkoffer wünschen, der die Probleme einfach wegzaubert. Geht mir auch so. 😊 Aber du wirst ganz, ganz viele Probleme einfach gar nicht haben, weil du dich auf das besinnst, was dein Körper schon längst kann. Er kann schreien und juchzen, sich tottraurig fühlen und vor Schmerz wimmern. Er kann seine Meinung klar und kräftig hörbar machen und säuseln, um das zu bekommen, was du haben willst.
Indem du dein Instrument wirklich erforschst, wirst du die Lösungen finden, die genau auf dich zugeschnitten sind. Du wirst erst strampeln, dann krabbeln, dann ungelenk gehen und durchs Weiterforschen und ausprobieren immer neuer Varianten des gleichen Bewegungsablaufs mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann auch rückwärtsgehen, rennen hüpfen und tanzen.
Und du wirst nie wieder vergessen wie es geht.
Niemand kann dir dein Singen jemals wieder wegnehmen.
Es ist deins. Es gehört dir. Sei du selbst und kling auch so!
Deine Anna
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